RAUMBEWUSSTSEIN II
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RAUMBEWUSSTSEIN II

Wie du dein (inneres) Raumbewusstsein stärkst

Für mich war „Raum” schon immer ein spannendes Thema. Ein Raum kann Begrenzung bedeuten, Halt und Struktur geben sowie für Geborgenheit stehen. Ein Raum kann unser Zuhause, greifbar oder feinstofflich, fest oder durchlässig, sichtbar oder unsichtbar, vertraut oder unbekannt sein. Raum ist Form und Formlosigkeit zugleich.

„Wenn du dich nicht länger total mit der Form identifizierst, wird das Bewusstsein, das du bist, aus seiner Gefangenschaft in der Form befreit. Diese Freiheit schafft den inneren Raum. Er manifestiert sich als Stille, als subtiler Frieden tief in deinem Innern, selbst angesichts widriger Umstände. […] Plötzlich entsteht Raum rings um ein Ereignis. Auch emotionale Höhen und Tiefen oder gar Schmerzen bekommen Raum. Vor allem aber liegt Raum zwischen den Gedanken. Und dieser Raum strahlt einen Frieden aus, der ‚nicht von dieser Welt‘ ist, denn die Welt ist Form, und der Friede ist Raum.“

Eckhart Tolle

 

Yoga und Meditation schaffen Raum

Jeder Mensch ist mehr oder weniger mit Form, Materie identifiziert – umgeben von so vielen Dingen, voller Gedanken und To-dos im Kopf. Um gesund und ausgeglichen zu sein, braucht es unbedingt die Verbindung zu unserer spirituellen Dimension. Besonders durch Atemübungen (Pranayama) und Meditation können wir unsere innere Freiheit zurückgewinnen oder wiederentdecken. Und uns an unser einfaches Sein erinnern.

Wir sind „human beings” und nicht „human doings”. Ich denke, es gilt die Widersprüchlichkeiten – Form und Formlosigkeit – liebevoll auszubalancieren. Für unsere Bewegung auf der Yogamatte und im Alltag heißt das, unseren physischen Körper (Form) zu stärken und bewusst wahrzunehmen und uns gleichzeitig mit der Tiefe unseres Seins und der Unendlichkeit (Formlosigkeit) zu verbinden.

Yoga schenkt uns Raum für Ruhe, Raum für Stille, Raum zum Glücklichsein und noch so viel mehr. Wenn wir weniger denken, uns erlauben mehr zu sein, können wir eintauchen in diesen weiten Kosmos zwischen den Gedanken.

 

Freiheit zwischen den Gedanken finden

Mich unterstützt das Bild von „Wolken am Himmel” sehr: Stell dir vor, die Wolken sind deine Gedanken, und das Dazwischen ist dein innerer Raum. Wir können üben, uns immer wieder mit dem Dazwischen zu verbinden anstatt uns in Gedanken zu verlieren. Es heißt, dass wir rund 90  Prozent unserer täglichen Gedanken bereits gedacht haben – wir uns also in einer ständigen Wiederholungsschleife befinden, in einem selbst kreierten Kopfkino.

„Yogás città vrtti nirodhah“ lautet der zweite Vers in Patanjalis erstem Sutra, was so viel bedeutet wie „Yoga ist das Zur-Ruhe-Kommen der Gedankenwellen“ oder „Einheit besteht, wenn alle Gefühle und Gedanken zueinander finden“ (Sriram). Gemeint ist nicht, die Gedanken anzuhalten, sondern sie wie Wolken am Himmel vorbeiziehen zu lassen. Wir begeben uns in die Rolle des Beobachtens, lösen uns so von der „Gefangenschaft in der Form“ und erleben Freiheit und Frieden.

 

Atemübung für mehr Raumbewusstsein

Eine sehr schöne Pranayama-Übung, die unser Raumbewusstsein stärkt und unsere innere Unruhe bändigt, ist Samavritti Pranayama (falls du schwanger bist, bitte nicht den Atem anhalten). Zur Erklärung: Sama bedeutet „ausgleichen” und „vritti” ist die Aktion.

 

So geht’s:

  1. Setze dich bequem und aufrecht hin. Konzentriere dich auf deinen Atem, beginne, deinen Atem zu vertiefen und zu verlängern.
  2. Jetzt zählst du beim Einatmen innerlich langsam bis vier, bleibst in der Atemfülle vier Takte, atmest aus auf Vier, verweilst in der Atemleere vier Zählzeiten, sodass alle Teile etwa gleich lang sind.
  3. Du kannst mit ein paar Minuten starten und diese Übung, wenn du dich wohlfühlst, auf elf Minuten oder länger ausdehnen.
  4. Nutze auch hier wieder deine Vorstellungskraft. Sie ist so machtvoll! Deine Gedanken sind quasi wie die „Wellen an der Oberfläche eines Bergsees”. Du kannst den Grund nicht sehen.
  5. Sobald deine Gedanken ruhiger werden, kannst du tief nach innen tauchen und mehr verstehen. Ist die „Oberfläche des Bergsees” glatt und klar, ist es möglich bis auf den Grund nach unten zu schauen.

Ein Atemzyklus ist auch wie die vier Lebensphasen:

Wir werden geboren – wir atmen ein.
Wir leben, erschaffen und erhalten – die Pause in der Atemfülle.
Wir atmen aus – verlassen unsere Form, unsere körperliche Hülle eines Tages.
Was danach kommt, weiß keiner so genau.

Im Hinduismus glauben die Menschen, dass wir wiedergeboren werden. Die Pause in der Atemleere steht für den Raum, durch den sich etwas Neues entwickeln kann. Diesen Zyklus können wir auch als Metapher für unseren Alltag nutzen: Wir brauchen die Balance zwischen Einatmung = Aktion und Ausatmung = Entspannung. Unser Raumbewusstsein ist essenziell, um die Pause zwischen den Gedanken, Gefühlen, Worten und Handlungen wahrzunehmen und auszudehnen, um uns Selbst als Einheit zu erfahren und uns als Teil des großen Ganzen zu verstehen.